(03.09.2014)
Ende Juni 2014 legten an allen neun Kliniken des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes zahlreiche angestellte Ärztinnen und Ärzte ihre Arbeit nieder. Hintergrund war die Forderung nach höheren Tarifen sowie die Anerkennung von Dienstjahren. Laut der Ärztegewerkschaft Marburger Bund war die Notfall- und Patientenversorgung während des Streiks in allen Kliniken zu jeder Zeit gesichert.
Nach gut einer Woche wurde der Streik nach einer Einigung in den
Tarifverhandlungen beendet. Im Nachgang zur Arbeitsniederlegung erreichten drei Beschwerdeschreiben die
Abteilung Berufsrecht der Ärztekammer Berlin. Darin werfen betroffene ärztliche
Kolleginnen und Kollegen ihren zuständigen Chefärzten unter anderem vor, ihre
ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während des Streikes durch lange
Ansprachen unter Druck gesetzt und Operationen bewusst in die Streikwoche gelegt
zu haben. Wiederholt soll es zu abschätzigen Bemerkungen hinsichtlich
hochverantwortlichen, aber untergeordneten Positionen gekommen sein. Zudem seien
die ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Klinik angewiesen worden,
trotz des vereinbarten Notdienstes elektive Aufnahmen auch an Streiktagen zu
gewährleisten: Der Betrieb solle nicht komplett lahmgelegt werden, soll es von
Seiten der Klinikleitung geheißen haben, da jeder Streiktag enorm viel Geld
kosten würde.
An anderer Stelle sollen streikende Ärztinnen und Ärzte öffentlich diskreditiert
worden sein. Der Vorwurf: Sie hätten durch ihr Verhalten das Leben von Menschen
gefährdet und Todesfälle riskiert. Die Absender der Briefe versichern dagegen,
die Patientenversorgung zu keiner Zeit gefährdet zu haben. In einem Schreiben
heißt es, es sei sogar täglich in sechs bis sieben OP-Sälen parallel operiert
worden, obwohl die Besetzung laut Notdienstvereinbarung eigentlich nur den
Betrieb von vier Sälen ermögliche. Die Streikvereinbarung sei darüber hinaus
noch durch zahlreiche weitere elektive Tätigkeiten ausgehebelt worden.
Die Abteilung Berufsrecht der Ärztekammer Berlin prüft nun dieses Vorbringen.
Die betroffenen Chefärztinnen und Chefärzte haben Gelegenheit, zu den Schreiben
Stellung zu beziehen. Unabhängig von der noch ausstehenden Bewertung der konkret
angezeigten Fälle hält die Ärztekammer Berlin es grundsätzlich für unvereinbar
mit dem berufsrechtlichen Gebot der Kollegialität, wenn ärztliche Leitungen die
unter ihnen arbeitenden Ärztinnen und Ärzte wegen der Wahrnehmung ihres
Streikrechts unter Druck setzen.
Das Streikrecht ist in der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz
verfassungsrechtlich verankert. Es dient dazu, das Machtgefälle zwischen den
Tarifvertragsparteien auszugleichen und eine funktionierende Tarifautonomie
herzustellen. Grundsätzlich ist es angestellten Ärztinnen und Ärzten wie anderen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch erlaubt, tariflich regelbare Ziele
mittels eines gewerkschaftlich getragenen Streiks durchzusetzen. Zur Vermeidung
einer Gefährdung des Gemeinwohls wird allerdings bei Streiks an Einrichtungen
der Patientenversorgung die ärztliche Versorgung in dringenden Fällen aufgrund
von Notdienstvereinbarungen mit dem Arbeitgeber aufrechterhalten.