(21.10.2013)
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat im Rahmen ihrer Hygienestrategie die "Aktion Saubere Hände" ausgezeichnet. Die deutschlandweite Kampagne wird von der Charité Berlin federführend koordiniert. "Berliner Ärzte" sprach darüber mit Professor Dr. Petra Gastmeier, Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité.
Berliner Ärzte: Herzlichen Glückwunsch zu der WHO-Auszeichnung zum
"Global Hand
Hygiene Expert Centre", Frau Professor Gastmeier! Was bedeutet diese
Auszeichnung für Sie und für die "Aktion Saubere Hände"?
Professor Petra Gastmeier: Eines möchte ich vorausschicken: Die Ehre gebührt
nicht mir, sondern vor allem Frau Dr. Christiane Reichardt und dem Team der
"Aktion Saubere Hände". Sie haben die Hauptarbeit geleistet. Die Auszeichnung
der WHO ist die erste Anerkennung auf diesem Feld für eine Einrichtung in
Europa. Im vergangenen Jahr wurde eine Institution in Asien ausgezeichnet. In
Europa sind wir die größte Kampagne und zugleich die einzige, die kontinuierlich
gearbeitet hat. Dagegen beschränkt sich zum Beispiel die belgische
Händehygienekampagne auf einige Aktionswochen im Jahr.

Prof. Petra Gastmeier (re.) und ihr Team werden mit der Anerkennungstafel der
WHO
für die Charité als "Global Hand Hygiene Expert Centre" ausgezeichnet.
BERLINER ÄRZTE: Anlass für eine Zwischenbilanz: Was ist seit dem Start
der Händehygienekampagne im Jahr 2008 erreicht worden?
Professor Petra Gastmeier: Die Kampagne hat vor allem den Stellenwert
der Händehygiene gesteigert, und zwar nicht nur in Krankenhäusern. Das Thema hat
auch Relevanz in der breiten Bevölkerung. Denn einerseits müssen im Krankenhaus
auch Besucher auf Händehygiene achten. Andererseits weiß man inzwischen, dass
zum Beispiel in Kindertageseinrichtungen in Grippezeiten die Infektionsraten
niedriger sind, wenn die Kinder immer zum Händewaschen angehalten werden. In den
teilnehmenden Krankenhäusern haben die Hygienefachkräfte durch die Kampagne
Rückenwind erhalten. Für sie ist es einfacher, gewisse Maßnahmen umzusetzen,
seit das Thema sozusagen von außen einen hohen Stellenwert erhalten hat. Konkret
unterstützen wir die Mitarbeiter in der Hygiene, egal ob Ärzte oder
Pflegepersonal, durch unsere Einführungskurse, mit Material, Informationen über
die Barrieren gegen Händehygiene und Tipps und Tricks, wie sie die überwinden
können.
BERLINER ÄRZTE: Wie überprüfen Sie den Erfolg ihrer Kampagne?
Professor Petra Gastmeier: Sie können eine solche Kampagne nicht
leisten, wenn Sie nicht ein Messinstrument einführen. Wir haben zwei. Mit
Compliance-Beobachtungen in den Krankenhäusern lässt sich messen, wie oft
Händehygienegelegenheiten genutzt werden. Beobachtet man vor einer Intervention
und danach, welchen Anteil einer bestimmten Anzahl von Gelegenheiten zur
Händedesinfektion die Mitarbeiter einer Station nutzen, lässt sich der Erfolg
der Intervention beziffern. Ein zusätzlicher Vorteil dieser
Compliancebeobachtungen ist, dass sich mit ihnen auch feststellen lässt, ob die
Händehygiene bei den richtigen Indikationen vorgenommen wird. Das zweite
Messinstrument ist der Verbrauch an alkoholischem Händedesinfektionsmittel.
Dieses Instrument ist in allen teilnehmenden Krankenhäusern eingeführt worden.
Es ist nicht aufwändig, weil die nur die Verbrauchsdaten pro Station vom Einkauf
bezogen werden müssen. Die verbrauchte Desinfektionsmittelmenge wird auf die
Anzahl der Patiententage bezogen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In den
Häusern, die von Anfang an mitmachen, ist der Verbrauch um 61 Prozent gestiegen.
Das ist eine ganze Menge.
BERLINER ÄRZTE: Mit 1300 beteiligten Einrichtungen ist die deutsche
Händehygienekampagne zwar die größte weltweit. Aber etwa die Hälfte der
Krankenhäuser in Deutschland machen noch nicht mit. Weshalb?
Professor Petra Gastmeier: Ungefähr 900 Krankenhäuser machen mit, die anderen
Einrichtungen sind Pflegeeinrichtungen aber auch ambulante Arztpraxen. Immerhin
nimmt die Hälfte der Akutkrankenhäuser teil. Ich kenne keine andere freiwillige
Kampagne, der sich so viele Häuser angeschlossen haben. Und wir führen weitere
Einführungskurse durch. Es ist kein Stillstand eingetreten. Es werden immer
mehr.
BERLINER ÄRZTE: Wo gibt es noch Defizite?
Professor Petra Gastmeier: Wie Sie sagen: Es machen noch nicht alle mit. Das
andere ist: Die Compliance zur Händehygiene reicht noch nicht aus. Die meisten
Krankenhäuser liegen bei 50 bis 60 Prozent Compliance. 100 Prozent wird man
wahrscheinlich nie erreichen, aber ich denke, wir müssen unbedingt mindestens 80
Prozent erreichen, damit in den Krankenhäusern die Ausbreitung von Infektionen
sicher verhindert werden kann. Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt.
Auf der anderen Seite muss man auch bedenken, dass Händehygiene auch stark durch
Gewohnheiten beeinflusst ist, und Sie wissen, wie schwer es ist, Gewohnheiten zu
ändern. Das braucht längere Zeit. Wichtig ist dafür auch die Vorbildwirkung.
BERLINER ÄRZTE: Was ist dazu für die Zukunft geplant?
Professor Petra Gastmeier: Wir haben schon einige Ideen für neue Maßnahmen. Die
wollen wir im November mit unserem wissenschaftlichen Beirat beraten.
Das Interview führte Angela Mißlbeck.