(14.05.2010)
Der neue Dialog
Ungewohnte Töne zu Beginn des Deutschen Ärztetages in Dresden: Selten hat ein
Ärztetag so harmonisch begonnen wie in diesem Jahr. Dies lag nicht alleine am
festlichen Ambiente in der Semper Oper und dem phänomenalen Vortrag des
13-jährigen Geigenvirtuosen Jacob Meining. Dass Bundesgesundheitsminister
Philipp Rösler (FDP) andere Töne anschlagen würde als seine umstrittene
Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD), war zu erwarten. Aber wie es Rösler gelang in
einer 45-minütigen freien Rede die Ärztetagsdelegierten für sich zu gewinnen,
war sehens- und hörenswert.
Dabei hatte er eigentlich nichts vorzutragen, was nicht an anderer Stelle zu
hören gewesen wäre. Doch Röslers herzlicher Dank für die Arbeit der
Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen fiel auf dankbaren Boden.
Ähnliches war aus dem Mund von Ulla Schmidt kaum zu hören.
"Sie leisten viel, haben aber das Gefühl, es lohnt sich nicht richtig", fasste
Rösler eine Stimmung zusammen, die bei vielen Ärztinnen und Ärzten vorhanden
ist. "Wenn man wirklich etwas ändern will, darf man nicht nur die Einnahmeseite
betrachten, sondern muss das System selbst verändern." Als Hauptkostentreiber
machte der Gesundheitsminister die demografische Entwicklung und den
medizinisch-technischen Fortschritt aus. Weiterer Hemmschuh im Gesundheitswesen
sei die Bürokratie. Diese ließe sich nicht durch neue Gesetze abbauen, sondern
vor allem durch eine Veränderung der Geisteshaltung. "Wir müssen Schluss machen
mit der Kontrollitis", unterstrich Rösler und forderte statt dessen eine neue Vertrauenskultur.
Er sprach sich für eine kontinuierliche
Aufklärung der Patienten und der Versicherten aus und beklagte, dass die
Menschen im Unklaren darüber gelassen werden, wie viel Geld im Gesundheitssystem
umgesetzt werde. Aus diesem Grund plädierte er für eine weitgehende Abschaffung
des Sachleistungsprinzips.
Nicht mehr Geld ins System
Nicht anders zu erwarten war sein erneutes
Plädoyer für die Kopfpauschale zur Finanzierung der GKV. Der Ausgleich zwischen
Arm und Reich sei im Steuersystem besser aufgehoben als im Gesundheitssystem,
erklärte Rösler. Gleichzeitig betonte er, dass mehr Geld im Gesundheitswesen
derzeit nicht zur Diskussion stünde. Mit 170 Milliarden Euro jährlich seien
genug Mittel vorhanden. "Wir müssen gemeinsam das vorhandene Geld besser
verwalten." "Es ist unethisch, Verschwendung zuzulassen." Ablehnend stand er
dem Thema Priorisierung gegenüber: "Priorisierung hat in meinen Augen nicht viel
mit ärztlicher Freiberuflichkeit zu tun." Die Erhaltung der Freiberuflichkeit
des Arztberufes sei erklärtes Ziel der Bundesregierung, sagte Rösler unter
Beifall der Delegierten.

Hoppe: Keine Alternative zur
Priorisierung
Eine Alternative zur Priorisierung sah
hingegen der Präsident des Deutschen Ärztetages, Professor Jörg-Dietrich Hoppe,
nicht. "Es ist unethisch, diese Diskussion nicht zu führen." Er wies zugleich
darauf hin, dass die Kosten im deutschen Gesundheitswesen in den vergangenen
Jahren nur moderat gestiegen seien. Die Gesundheitskosten pro Kopf seien in den
letzten zehn Jahren um lediglich 1,7 Prozent jährlich gestiegen. Er begrüßte
aber die Gesprächsbereitschaft von Seiten des Bundesgesundheitsministers.
"Vertrauen durch Dialog" sei der richtige Weg.
Hoppe plädierte für eine größere
Praxistauglichkeit im Medizinstudium. "Junge Ärzte müssen früher an den
Patienten geführt werden." Eine klare Absage erteilte Hoppe
einer Sterbehilfe durch Ärzte. "Wir brauchen vielmehr palliativmedizinische
Versorgungsstrukturen im gesamten Land." Sterben in Würde und ohne Schmerzen sei
möglich, unterstrich Hoppe. Sterben sei nicht normierbar. Ob das Betreuungsrechtsänderungsgesetz wirklich hilfreich sein werde, sei zweifelhaft.
Eine Gesellschaft des langen Lebens erfordert Hoppe zufolge zudem einen neuen
Gesellschaftsvertrag.
In Tagesordnungspunkt I (Gesundheits-,
Sozial und ärztliche Berufspolitik) erörterten die Delegierten die Rede Röslers
ausgiebig. Jenseits der allgemein anerkannten rhetorischen Qualitäten des
Ministers hatten einige Delegierte den Eindruck, dass Rösler sehr klar gesagt
habe, es werde nicht mehr Geld im System geben und die geforderte Solidarität
werde auf Seiten der Ärzte abgeladen. Andere Delegierten sprachen sich dafür
aus, den Dialog mit Rösler intensiv zu führen.

Im Entschließungsantrag zu
TOP I forderte der Vorstand der Bundesärztekammer von der Bundesregierung
folgende Punkte:
- Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung in ländlichen Regionen
- Steigerung der Attraktivität kurativer ärztlicher Tätigkeit
- Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung
- Stärkung der Patientensouveränität und Eigenverantwortung der Versicherten
- Demografiefeste Sanierung der GKV-Finanzierung
Minister Rösler wird also in der verbleibenden Legislaturperiode nicht über zu
wenig Arbeit klagen können.